Vom Grossvenediger zum Grossglockner. Ski-Route Hochtirol
„Osttirol ist anders. Authentisch, ursprünglich, echt, reduziert. Und zwar reduziert auf das Notwendige, auf das Wesentliche. Auf das, was es wirklich braucht. Berge.“ So der Werbeslogan des Nationalparks Hohe Tauern in Osttirol.
Diese Ski Durchquerung von West nach Ost inklusive Besteigungen von diversen tollen Gipfeln soll ein echtes Schmankerl sein. Die Nachfrage war gross – Tour ausgebucht. Wir gingen schauen.
Bergführer-Aspirantin Gianna Könz war als zusätzliche Führerin mit dabei. Das Wetter für die ersten Tage wurde garstig angekündigt. Die Bestätigung erlebten wir hautnah.
Tag 1: Anreise und Aufstieg zur Essener Rostocker Hütte. Es war der Tag nach bzw. vor dem nächsten Sturm, eigentlich ganz schönes Wetter. In Anbetracht der schlechten Prognosen für den Folgetag wurden mehrere Tourenoptionen für den Hüttenwechsel erarbeitet. Der Ursprungsplan Grosser Geiger war bereits keine Option mehr.
Tag 2: Plan D. Veritabler Schneesturm aus Richtung Nord. Start zum Mauertörl 3104m mit der Absicht einer Nord-Abfahrt zur Kürsingerhütte. Bald war klar, bei diesem Sturm und Starkschneefall unmöglich. Umkehr zur ESRO Hütte und neue Lagebesprechung bei Kaffee und Tiroler Leckereien. Es folgte der Entscheid, noch am selben Tag via Talabstieg nach Hinterbichl und einem Wiederaufstieg von ca. 700 hm zur Johannishütte ins Tal weiter östlich zu wechseln. Dies eröffnete uns die Chancen trotzdem noch den Grossvenediger 3657m besteigen zu können.
Tag 3: Grossvenediger 3657m. Sturm - jedoch bessere Sicht. Lawinenwarnstufe 4, angespannte Situation. Die Perspektiven standen jedoch auf Wetterbesserung mit abflauendem Sturm. Fast kein Lawinengelände auf der vorgesehenen Route. Hochmotiviert wurde in Richtung Mullwitzaderl gestartet. Dies ist der felsdurchsetzte Übergang in Form eines kurzen Klettersteiges zum Mullwitzkees. Anstrengende Spurarbeit in meistens über knietiefem Schnee. Die Sonne zeigte sich wärmespendend. Und tatsächlich, in Richtung Gipfel, liess auch der Wind endlich nach. Die Entscheidung, trotz Wind weiterzugehen, wurde belohnt. Mutterseelenallein, keine anderen Spuren weit und breit auf diesem prachtvollen Berg, hoch über den Wolken. Es folgten 1200hm unglaubliche Abfahrt in nahezu einer Falllinie zur Johannishütte. Die geplante Nordabfahrt über den Schlatenkees direkt ins Innergschlöss war auf Grund der tiefliegenden nordseitigen Bewölkung keine Option. Mit dem Taxi gelangten wir zum Matreier Tauernhaus. Kurze Erholung im Hotel und Vorbereitung auf die zweite, anstrengende Wochenhälfte.
Tag 4: Sillingscharte – Granatscharte – Rudolfshütte. Von nun an bei bestem Wetter. Aufstieg über die frisch eingeschneiten Südhänge direkt hinter dem Tauernhaus. Die anstrengende Spurarbeit sollte auch diesem Tag den Stempel aufdrücken. Zum Glück konnten sich die zwei Guides abwechseln. Eine erste prächtige Abfahrt machte uns gluschtig auf mehr. Davor galt es aber, die rund 600hm zur Granatscharte zu bewältigen. Es folgte die Schlussabfahrt über den Sonnblickkees und später in felsdurchsetztem „Freeridegelände“ hinunter zur eigenartigen Welt des Berghotels Rudolfshütte. Hotel Lobby, riesige Restaurants, Wellness und SPA, Kletterhalle, unzählige Touristen. Alles in allem ganz ok, Morgen aber schnell weg von hier.
Tag 5: Teufelskamp 3511m – Stüdlhütte. Der Grossglockner kommt immer näher. Der Plan, via obere Ödenwinkelscharte und Teufelskampkees zum Romariswandkopf zu gehen, wurde in Folge der nach wie vor erhöhten Lawinensituation verworfen. Ein neuer, spannender Plan wurde wiederum kreiiert. Via Kalser Tauern und dann durch den Fruschnitzgraben hoch zum Fruschnitzkees. Eine Variante mit zwei Schlüsselstellen von denen wir wenig bis keine Infos zur Verfügung hatten. Die einheimischen Bergführer gehen da gemäss nachträglichem Austausch nicht hoch. Der „Mut zur Lücke“ wurde belohnt, ein aussergewöhnlich einsamer, wilder Aufstieg ins Glocknergebiet. Der äusserst originelle und erstaunlich einfache Durchschlupf beim Gletscherbruch hinauf auf den oberen Fruschnitzkees war sowas wie die King-Line. Nach gut 2000 Höhenmetern Aufstieg standen wir auf dem Gipfel des Teufelskamp, der Glockner zum Greifen nahe und das Bergpanorama unbeschreiblich weitreichend. Herrliche Abfahrt zur Stüdlhütte. Topfenstrudel und Yoga für die müden Beine.
Tag 6: Grossglockner 3798m. Ein Massenandrang wie erwartet, aber nach all diesen einsamen Tagen in den Bergen trotzdem gewöhnungsbedürftig. Die Anpassung des Mindset wurde nötig, nicht Spurarbeit, sondern Spurpräparation. Ein Prachtsberg ist er der „Glockner“, mit sehr abwechslungsreichem Mix aus Skitour und Bergsteigen. Die „nur“ 1000 Höhenmeter fast eine „Bubitour“. Nach knapp 5 Stunden konnten wir auf dem Dach Österreichs stolz in Richtung Westen schauen, auf den langen, einstweilen rauen Weg, den wir diese Woche zurückgelegt haben. Die Sonne schien bis tief in unsere Herzen, es machte uns zufrieden, auf das Geleistete zurückblicken zu können. Abstieg und frühlingshafte Abfahrt zum Lucknerhaus. Schnipo, Weissbier ohne, Spezi etc. wir hatten es verdient. Wow, was für eine erlebnisreiche Woche!
Vielen Dank an das super Team für die grossartige Zeit. Die tolle Kameradschaft, gegenseitiger Respekt und Verständnis, Flexibilität und eure grosse Ausdauer machten es für uns Guides trotz schwierigen Verhältnissen oft sehr einfach. Ein letzter riesengrosser Dank geht an Gianna für ihre sehr professionelle und sympathische Mitarbeit, toi toi toi im Führerkurs!
Osttirol ist wirklich anders - ich komme wieder!
Wortlegende: Kees = Gletscher